Petroleumfackel mit kardanischer Halterung und Stiel - um 1875 -

  • Nach abgeschlossener Überholung und erster Funktionsprüfung möchte ich hier heute mal ein recht seltenes Teil vorstellen.


    Die Fackel habe ich 2021 zufällig in einer Anzeige im Internet gefunden. Sie war außen ziemlich verrostet, stark verruß und hatte im Tankboden auch ein kleines Loch. Die Messing-Teile waren ebenfalls mit einer dicken Schicht Ruß / Öl-Kohle überzogen und eingebrannt.

    Aber sie war komplett.

    Es folgte eine umfassende Reinigung, Rostbehandlung mit FERTAN und anschließende vorsichtige Konservierung mit Owatrol-Öl.

    Das Loch im Tank wurde verlötet und der Tank zusätzlich mit 2K-Harz ausgegossen.

    Die Messingteile wurden gereinigt und poliert. Ein Docht musste ersetzt werden.


    Vorher / Nachher Fotos befinden sich in einem extra Post den ich auch hier verlinke:

    Vorher / Nachher Bilder

    Seite 30 / 582



    Warum „um 1875“ ???

    Auf dem Tank befindet sich eine Messing-Plakette mit folgender, in Teilen nur noch unter Schräglicht lesbarer, erhabener Prägung:


    Joh. Georg Renninger

    Spenglermeister

    Schweinfurt M.


    Bei Recherchen bin ich auf das Adressbuch der „königlich bayerischen Stadt Schweinfurt“ von 1875 gestoßen.

    Nach diesem wohnte er damals in der Hohen Brückengasse Nummer 5.

    Ob er die Fackel vor- oder nach 1875 gemacht hat ist dabei eigentlich unerheblich.

       


    Kurze Beschreibung:

    Der Tank ist aus verzinktem Blech und hat einen doppelten Boden in welchem ein Gewicht (vermutlich Blei) zur Schwerpunktverlagerung eingearbeitet ist. Die Brennerteile sind aus Messing.

    Durchmesser ca. 12 cm / Höhe mit Deckel ca. 20 cm.

    Gewicht leer: ca. 1,6 kg / mit vollem Tank ca. 2,2 kg bei einem Tankvolumen von ca. ¾ Liter


    Die kardanische Halterung ist geschmiedet und vernietet. Die Aufnahme für den Stiel angelötet.

    Der Deckel für den Brenner ist mit einer Kette an der Halterung befestigt und kann abgenommen an dieser eingehängt werden.


    Der Brenner besteht zum einen aus einem 16 cm langen Schlauchdocht (ca. 30 ```) welcher auf einer herausnehmbaren, gelochten Führungshülse mit 38 mm Durchmesser steckt.

    Die Öffnung in welcher der Docht samt Hülse steckt hat einen Innendurchmesser von 51 mm.

    Idealerweise bräuchte der Docht daher eine Dicke von ca. 6 mm. So einen suche ich noch.


    Zum anderen befindet sich mittig im Brenner ein im Tank endendes, geschlitztes Rohr mit einem Innendurchmesser von 20 mm.

    Auf diesem Rohr steckt ein pilzförmiger Aufsatz was zunächst an einen Zentralluftzug-Brenner mit Brandscheibe erinnert.

    In dem Rohr befindet sich aber ein zweiter Voll-Docht mit einem Durchmesser von 20 mm.

    Dieser steht oben ca. 2,5 cm über und endet bei aufgesetztem „Pilz“ genau in diesem.

    Der „Pilz“ selbst hat an der Unterseite und auch an der Oberseite einige, ca. 4 mm große Löcher.

    Umgeben ist das Ganze mit einer ebenfalls gelochten Luftführung(ähnlich einer Galerie) aus Messing welche abgenommen werden kann.



    Alle Einzelteile mit den beiden Dochten



    Mittlerer Docht bereits eingebaut und Schlauchdocht über der Führungshülse. Vorne mittig der sogenannte „Pilz“.



    „Pilz" aufgesteckt. Schlauchdocht und Oberteil der Führungshülse sind gut erkennbar. Ebenfalls der Einfüllstutzen mit dem Messingverschluss.


       

    Mittlerer Docht montiert und mit Überstand. Brenner vollständig montiert. Gut erkennbar dabei die Löcher im „Pilz“


    Wie das Ganze mit den zwei Dochten letztendlich funktionieren sollte, war mir bis dahin jedoch noch nicht ganz klar.

    Das Ergebnis der Konstruktion zeigte sich erst nach dem Anzünden.


    Funktion:

    Nach dem Anzünden brennt zuerst der Schlauchdocht langsam hoch.

    Ähnlich bei einem Brenner mit Brandscheibe schließt sich auch hier irgendwann der Flammen-Kreis.

    Durch die Hitze erzeugt der zweite Docht im Inneren immer mehr Petroleumdämpfe welche durch die Löcher im „Pilz“ entweichen und sich dabei entzünden.

    Dadurch entsteht eine bis zu 40 cm hohe, spitze und hell leuchtende Flamme.

    Allerdings ist diese natürlich etwas windempfindlich und wird daher gerne zur Seite hin abgelenkt.

    Dennoch eine recht starke Lichtquelle mit einer überraschend guten Ausleuchtung welche natürlich erst bei völliger Dunkelheit so richtig zur Wirkung kommt.


        

    Die Flamme brennt langsam hoch Flamme fertig geformt und Gasschwaden im Inneren gut erkennbar



    Gelöscht wird die Fackel indem man einfach den Deckel aufsetzt und die Flamme so erstickt.

    Eingesetzt wurde diese Art Fackel überwiegend bei Nachteinsätzen der Feuerwehr.

    Städte und Dörfer waren zur damaligen Zeit, wenn überhaupt, nur spärlich beleuchtet.


    Grüße aus Franken

    Wilhelm


    P.S. Schweinfurt liegt übrigens auch in Franken :]





    4 Mal editiert, zuletzt von Wilhelm H. () aus folgendem Grund: Link Vorher / Nachher Bilder eingefügt

  • Ja, gibt es sogar hier im Forum mit einem Bild.

    Ich verlinke es gleich noch mal.

    Dauert aber etwas länger da ich bei der "Suche" hier im Forum ständig einen Fehlercode erhalte.

    Fatale Error

    Einmal editiert, zuletzt von Wilhelm H. ()

  • Hallo Rolf.


    Es hat geklappt. Hier die Verlinkung:

    W M Knaust Wien


    Da der Beitrag unter der Überschrift: W M Knaust Wien läuft, findet ihn eigendlich nur ein Einheimischer :tongue:


    Es handelt sich quasi um den Vorläufer des Blaulichts für die Feuerwehr. Im Beamtensprech "Lichtkennzeichen” für Feuerwehrfahrzeuge aus der Zeit ca. 1850-1900.

  • Heute gibt es einmal ein kurzes Update zu der Fackel.


    Mehr oder weniger durch Zufall habe habe ich in der bayerischen "Zeitung für Feuerlöschwesen" von 1877 einen Beitrag darüber gefunden(Ausgabe 1877 Nr. 18 Seite 101).

    Betrefende Seite hänge ich hier an. Natürlich in "altdeutscher Schrift".

    Darin schreiben einige über ihre Erfahrung mit selbiger Fackel(System Kirchner) und geben Tips für deren Handhabung.

    (Zum Lesen auf das Foto klicken; "Originalversion" aufrufen und auf die Lupe mit dem + klicken)



    Weiterhin hat die Fackel zwischenzeitlich auch neue Dochte erhalten. War ganz schön schwierig einen so dicken Schlauchdocht zu bekommen.

    Der innere Docht wurde aus BW Reinigungsdochten selbst hergestellt. Der Erste hatte einfach zu wenig Petroleum verdampft.

    Jetzt funktioniert es nahezu perfekt.


     


     



    Grüße aus Franken

    Wilhelm