Roentgen Zylinder

  • Vom Markus (markes) kam heute ein spezieller Zylinder an, als Alternative zum "normalen" Kosmoszylinder.

    Am Rand gemarkt mit "Roentgen X - Strahl" und der D.R.P. No. 76356.

    Danach gab es ein Patent von Kurt Eugen Grützner aus Deuben bei Dresden für diesen speziellen Zylinder von 1893.

    Natürlich hat der Glaszylinder einer Petroleumlampe nichts mit den Roentgenstrahlen zu tun, die Conrad Röntgen 1895 entdeckte, sondern ist wohl dem verkaufsförderndem Hype gestundet, der ab 1896 weltweit durch Veröffentlichungen über die X - Strahlen oder im englischsprachigen Raum nur X-Rays genannt wurden. Durch Unkenntnis schoß man damals weit über das hinaus was die Strahlen zu leisten vermochten. Grins, ein Provinzblatt forderte allen Ernstes ein Verbot der X-Rays in Operngläsern, weil die Strahlen die Kleidung durchsichtig mache.


    Spricht aber dafür das der vorliegende Zylinder erst nach 1896 entstanden sein muß, denn bei der Patenterteilung 1893 konnte Grützner noch nichts von X - Strahlen wissen.

    Auch die Form des Zylinders hat nichts mit den ersten Crookes Kathodenstrahlröhren gemein die Roentgen damals für die ersten Experimente nutzte.

    Ich habe mal eine funktionstüchtige Replik dieser Röhre vor die Lampe gestellt.


    Als Vergleich zwei Aufnahmen, einmal mit dem "normalen" Zylinder, und danach mit dem Grützner - Zylinder bei unveränderter Dochthöhe.

    Der Unterschied ist eindrucksvoll, und in der Patentbeschreibung wird die Ursache dafür klar.

    Mein Dank an Markus, von dessen Kenntnissen ich nun über ein wesentlich helleres Licht profitiere.:thumbup:






    Gruß Rolf


    Den Kopf nicht nur zum Haareschneiden nutzen...

  • Sehr erhellend, lieber Rolf!

    plingfünfeuroindieschlechteworspielkassewerf


    Etwas schmunzeln musste ich allerdings beim Lesen der zweiten Spalte der Patentschrift. Immerhin beschreibt der Konstrukteur hier die Wirkungsweise seines Zylinders als Vermutung. Zu dieser Zeit war ein gewisser Herr Giovanni Batista Venturi bereits über 70 Jahre tot und die von ihm entwickelte und nach ihm benannte Düse wohl bekannt. Und auf dem Venturi-Effekt beruht die gesamt Konstruktion des Zylinders ebenso, wie die Perlatoren, die wir alle zu Hause in unseren Wasserhähnen finden ...


    Aber es macht mir nicht nur Freude, diese wunderschönen Stücke historischer Technik zu sehen, sondern auch wieder einmal mit der Physik in Kontakt zu kommen, die diesen zu Grunde liegt. Herrlich und für dies alles herzlichen Dank! Du hast mir wieder einmal mehr ein Lächeln auf das Gesicht gezaubert!


    Grüße vom ex-Cronenberger


    Christian

    Hier wird das Licht von Hand gemacht...
    ... und der Motor gehört nach hinten!

  • Hallo Rolf,


    Dein X-Strahl Zylinder wurde erst ab 1898 so bezeichnet. Er kam im Jahr der Patentanmeldung 1893 auf den

    Markt. Die Firma nannte sich Grützner & Winter, Glashüttenwerk Deuben in Sachsen.

    Der Zylinder selbst wurde als Patent Kugelzylinder bezeichnet.

    Das Logo auf dem Zylinder variierte zwischen 1893 und 1898 auch mehrfach.

    Im Jahre 1893 konnte man noch oben auf dem Zylinder lesen:

    Patent Kugelzylinder + Eisernes Kreuz in der Mitte

    Im Jahre 1895 war der Schriftzug der gleiche und in der Mitte gab es eine personifizierte Sonne.


    Der schräge Abschluss des Zylinders sollte das Ausblasen der Flamme erleichtern. In der Patentschrift

    ist davon jedoch nichts zu sehen.


    Grüße

    Jörg

  • Interessante Vermutung was die Schräge angeht.

    Ab und an wird ja nach einem Beleg für bestimmte Aussagen gefragt.

    Woher weiß man denn, daß das schräge Ende des Zylinders das Ausblasen erleichtern soll?

    Wurde damit geworben?

    Grüße


    Andy


    Fiat Lux !

  • Es macht jedenfalls Sinn. Man soll nie von oben senkrecht in den Zylinder pusten, sondern immer nur schräg von der Seite.

    Die Schräge erleichtert das natürlich ungemein.

    Grüße
    Markus

  • ...

    Grüße vom ex-Cronenberger

    Danke Christian.

    Immer wenn ich an Cronenberg erinnert werde denke ich an eine Zeit als Belzer - Werkzeug noch Weltruhm genoß.


    Das wirkt auf den Bildern aber anders... Beim rechten Docht seh ich deutlich mehr unverbranntes Gewebe...:besserwisser::bounce:

    Das täuscht. Es wurden nur die Zylinder gewechselt.


    Ist zwar etwas Offtopic, aber zum Abschluß noch ein Bild wo die Röntgenröhre angeschlossen ist ( sollte man nur nachmachen unter Einhaltung von Sicherungsmaßnahmen ).



    Gruß Rolf


    Den Kopf nicht nur zum Haareschneiden nutzen...

  • Hallo Markus,


    dieser Zylinder wurde in der Illustrierten Zeitung für Blechindustrie im Jahre 1895 ausführlich

    besprochen.

    Zitat:

    Um ein bequemes Auslöschen der Flamme herbeiführen zu können, ist der Zylinder oben angeschrägt;

    man haucht nun leicht gegen die hintere Wand der schrägen Öffnung, bläst also nicht direkt von oben

    hinein, und der mit Stickstoff und Kohlensäure geschwängerte Atemhauch erstickt sofort die Flamme.


    Du kannst das ja mal bei einem Deiner Zylinder ausprobieren, mir fehlt dazu die Möglichkeit!


    Grüße

    Jörg

  • Der Sinn der Schräge leuchtet ja sofort ein, weshalb ich sie oben garnicht erwähnt habe.

    Sie ersetzt beim gerade geschnittenen Zylinder die flache Hand hinter dem Zylinder, in die man zum Löschen der Lampen hineinbläst.

    Gruß Rolf


    Den Kopf nicht nur zum Haareschneiden nutzen...

  • Sehr interessant, was alles so an Details entwickelt wurde.

    Durchgesetzt hat sich der Schrägschnitt (wegen der höheren Kosten?) auf breiter Front bei den üblichen Kosmoszylindern wohl nicht.


    Die höhere Lichtausbeute durch die besondere Ausformung mit obenliegender Kugel ist erstaunlich; irgendwie erinnert das an die Weiterentwicklung in vielen Einzelschritten bei der Glühbirne zur Steigerung der Lichtausbeute und Lebensdauer.

    Angefangen vom Material der Glühfäden (Kohle--> Osmium-Wolframdrähe), der Ausformung (Einfacher Faden, Einfachwendel, Doppelwendel), Gasfüllungen (z.B. Krypton) im Kolben usw.

    Grüße


    Andy


    Fiat Lux !

  • ...

    Durchgesetzt hat sich der Schrägschnitt (wegen der höheren Kosten?) auf breiter Front bei den üblichen Kosmoszylindern wohl nicht.

    ...

    Durch den Schrägschnitt entsteht eine spitze, dünne Glaskante, die beim kleinsten Anecken schnell wegsplittert, wie man an meinem Exemplar sehen kann.

    Gruß Rolf


    Den Kopf nicht nur zum Haareschneiden nutzen...

  • Noch eine Aufnahme zur Röntgenröhre, und dann ist es auch gut mit dem Offtopic...

    Man sieht von der Kathode ausgehend den heißen, rötlichen Elektronenstrom, der dann durch die Glaswand abgebremst wird und die Röntgenstrahlung bildet.

    Beim Anlegen einer Hochspannung von etwa 50 KV entsteht "harte" Röntgenstrahlung, vor der man sich selber wie auch den Aufnahmechip der Kamera schützen muß. Dazu kommt eine starke Bleiglasscheibe zum Einsatz, und das Auslösen von Hochspannung und Kamera über Funk aus einem Nachbarraum.

    Direkt neben der Röhre entsteht mit über 900 Mikrosievert das rund 8000fache der latent vorhandenen Grundstrahlung, die je nach Ort zwischen 0,08 und 0,2 Mikrosievert schwankt.



    Gruß Rolf


    Den Kopf nicht nur zum Haareschneiden nutzen...

  • > der mit Stickstoff und Kohlensäure geschwängerte Atemhauch erstickt sofort die Flamme.


    Na, das ist wohl etwas übertrieben. Die Flamme erlischt durch die vom Pusten in den Zylinder entstehenden Verwirbelungen, die zum Flammabriß führen.


    Micha.

    >> Es kommt oftmals anders, wenn man denkt. <<

  • Wie kommst du an solche Sachen? Ich staune immer wieder was du an kuriosen bzw. interessanten Zeugs zu Hause hast.

    Durch die Begeisterung von Jugend an für alte Technik und Feinmechanik ist im Laufe von Jahrzehnten einiges an "Zeugs" zusammen gekommen. ;)



    Gruß Rolf


    Den Kopf nicht nur zum Haareschneiden nutzen...

  • und demnächst sehen wir bestimmt tolle Aufnahmen von sprühenden Funken eines Funkeninduktors (den hätte ich sogar, nur kann ich nicht gescheit fotografieren) und von Rolfs Teslagenerator und der dazugehörigen Spule (den hast du doch bestimmt, Rolf) mit meterlangen Blitzen, grins.....

    Grüße


    Andy


    Fiat Lux !

  • In der abgebildeten Patentschrift steht, dass bei gleichbleibender Dochtregulierung und bei gleichem Petrolverbrauch viel mehr Licht entstehe. Das mit dem Petrolverbrauch würde mich interessieren. Ist die Brenndauer einer Tankfüllung wirklich gleich, wenn man nur die Zylinder tauscht?

    Wenn der Effekt ohne Mehrverbrauch so deutlich ist, müsste sich das ja sehr rasch durchgesetzt haben, zumal die gleichen Brenner weiterverwendet werden können.

    Physikalisch wäre das nur so zu erklären, dass die Russteilchen, die sich bei der Verbrennung von Paraffinölen zuerst bilden und die in glühendem Zustand das Licht aussenden, längere Zeit leuchtend existieren, bevor sie vollständig zu CO2 geworden sind. Da aber die Verbrennungsluft bei beiden Zylindern vollständig von unten kommt, kann sich nur die Strömungsgeschwindigkeit geändert haben, nicht aber das Luft-Petroldampfgemisch und also auch nicht die Verbrennungszeit. Ein Denkfehler, oder ein Effekt der veränderten Flammengeometrie bei gleichem Verbrauch pro Zeit, oder eben doch Mehrverbrauch wegen höherem Luftdurchsatz und damit höherer Petrolverdampfungsrate?


    Warum es keine gute Idee ist, eine Lampe von oben statt seitlich auszupusten, merkt man sofort, wenn man es einmal versucht.

    Einmal editiert, zuletzt von jp10686 ()

  • ...ich wußte es doch....Dein Funkeninduktor mit der Wicklung aus umsponnenem Draht ist schöner als meiner....und Du kannst (nach meinem Ermessen) mit deinem Equipment sehr hochwertige Aufnahmen machen.

    Mit dieser kleinen Tesla Schulspule wird auch nicht viel mehr gehen, als das was in den Bildern zu sehen ist.

    Das Phywe etc. Zeugs hat echt was für den Normalverbraucher, leider inzwischen sehr teuer geworden.

    Irgendwie sehr schade, dass heutzutage sowas im Unterricht großteils nicht mehr Anwendung findet, unsereins hat dadurch oft noch eine gewisse Interessensprägung für das weitere Leben erfahren dürfen.

    Ab und an erfreue ich unsere "Kinder" mit einfachen Experimenten dieser Art daheim, wenn das Enkele größer ist auch dieses und vielleicht zukünftig weitere.


    Vielleicht baue ich doch noch die große mit so nem Meter Höhe, der Draht dafür liegt hier schon seit einem Jahrzehnt und wartet aufs Wickeln.

    Allein was so in den Filmchen zu sehen ist reizt mich da sehr.

    Grüße


    Andy


    Fiat Lux !

  • ...

    Irgendwie sehr schade, dass heutzutage sowas im Unterricht großteils nicht mehr Anwendung findet, unsereins hat dadurch oft noch eine gewisse Interessensprägung für das weitere Leben erfahren dürfen.

    Ab und an erfreue ich unsere "Kinder" mit einfachen Experimenten dieser Art daheim, wenn das Enkele größer ist auch dieses und vielleicht zukünftig weitere.

    ...

    Ja, Experimente dieser Art wurden vor Jahren wegen des zunehmenden Sicherheitswahns aus den Schulen verbannt, obwohl sie mit schwachen Strömen durchgeführt vollkommen ungefährlich waren.

    Ich finde es gut Andy das du Kindern in deinem Umfeld mit Experimenten die wichtigen Denkanstöße gibst die sie in Schulen leider nicht mehr erfahren können.


    Nachfolgend eine Schattenkreuzröhre die mal dem Unterricht diente.



    Gruß Rolf


    Den Kopf nicht nur zum Haareschneiden nutzen...